Vor 4 Jahren beschloss die Große Koalition ein Gesetz, dass Strafverfolgungsbehörden wie dem Bundeskriminalamt in bestimmten Verdachtsfällen den Einsatz von Staatstrojanern erlaubte. Dabei handelt es sich um eine Überwachungssoftware, die verdeckt auf Smartphones oder Computern installiert wird. Im Gegensatz zur üblichen Telekommunikationsüberwachung können Behörden durch diese Quellen-TKÜ auf verschlüsselte Chats oder Telefonate zugreifen.
Letzte Woche verabschiedete der Bundestag eine Anpassung des Verfassungsschutzrechts, durch die alle Nachrichtendienste von Bund und Ländern sowie die Bundespolizei nun auch eben jene Staatstrojaner unter bestimmten Bedingungen präventiv einsetzen dürfen. Dazu zählen die “Abwehr einer dringenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder Sachen von bedeutendem Wert, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse liegt.”. In der Debatte vor der Abstimmung wurden die Staatstrojaner hitzig diskutiert. In unserem Recap erfahrt ihr, welche Fraktionen welche Positionen bezogen und welche Argumente zentral waren.
Stephan Thomae (FDP) und Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) führten auf der Contra-Seite an, dass noch gar nicht geklärt sei, ob das zu Anfang erwähnte Gesetz von 2017 rechtlich unbedenklich ist. Thomae selbst ist Teil einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Entscheidung steht noch aus und man hätte diese laut beiden Rednern abwarten müssen, besonders, so Thomae, weil im aktuellen Gesetz Staatstrojaner präventiv bei Verdacht eingesetzt werden dürfen.
Gleich zu Beginn trat Matthias Middelberg für die CDU/CSU als entschiedener Befürworter des Gesetzentwurfs auf. Er betonte einerseits die geringe Zahl der betroffenen Personen sowie die strengen Rahmenbedingungen. Im Jahr 2018 habe es 222 Fälle von der standardmäßigen TKÜ gegeben. Für die Quellen-TKÜ planen Sicherheitsbehörden eine zweistellige Zahl der Anwendungsfälle, letztendlich würden also eine handvoll Personen mit Staatstrojanern überwacht. Außerdem müsse die Anwendung sachlich begründet werden, zur Prüfung gebe es die G10-Kommission, welche im Zuge der Gesetzesänderung aufgestockt werde.
In Bezug auf die begrenzte Fallzahl kam in den Redebeiträgen von FDP und Grünen ein weiteres gemeinsames Gegenargument vor. Die geheime Installation von Staatstrojanern ist nämlich nur möglich, indem Sicherheitslücken ausgenutzt werden. Daher gebe es einen Anreiz, diese Lücken nicht zu schließen, obwohl sie von kriminellen Hackern angegriffen werden können. Dadurch seien eben doch alle Bürger:innen betroffen, so von Notz. Sichtlich frustriert wirft er dem Abgeordneten der Union vor: “Sie verstehen das Problem überhaupt nicht, Herr Kollege Middelberg!”
Für Michael Kuffer (CDU/CSU) war der Sachverhalt recht simpel – Verbrechen aus dem 21. Jahrhundert müssten mit Technik aus dem 21. Jahrhundert bekämpft werden. Er behauptete weiterhin: “Es wäre niemandem zu erklären, dass wir Telefone und SMS überwachen wollen und dem Verfassungsschutz gleichzeitig die Befugnis verweigern, auf WhatsApp- Nachrichten von Terroristen und von Subjekten zugreifen zu dürfen, die diese Technik genau dazu nutzen wollen, um Morde und Anschläge zu planen und zu koordinieren.”
Eine interessante Rolle in der Debatte kam der SPD zu, weil ihre Fraktionsvorsitzende Saskia Esken sich noch am Vortag vehement gegen Staatstrojaner aussprach. In ihrer Fraktion konnte sie sich damit jedoch scheinbar nicht durchsetzen. Deren Redner Uli Grötsch lobte den vorliegenden Gesetzentwurf ausdrücklich. Er sieht den Rechtsextremismus – die größte Gefahr für Deutschland – als berechtigten Anlass für die Gesetzesänderung. Da viele Menschen sich über Messenger-Dienste radikalisieren und organisieren, braucht es seiner Meinung nach entsprechende Instrumente, auch im Hinblick auf Fälle von rechtsextremen Gruppen in der Bundeswehr und Polizei. Erst kürzlich wurde das Frankfurter SEK aufgelöst, weil Beamte sich in Chatgruppen rechtsextrem geäußert haben sollen. Grötsch hebte zusätzlich Aspekte hervor, welche die SPD in Verhandlungen mit der Union verhindert habe. Dazu zählen sogenannte Online-Durchsuchungen, also die Überwachung gespeicherter statt nur laufender Kommunikation. Außerdem war ursprünglich eine Pflicht für App-Betreiber und E-Mail-Dienste geplant, die Verteilung von Staatstrojanern zu unterstützen. Das gilt nun nur noch für Internetprovider, allerdings müssen sie Verschlüsselungen nicht aufheben.
Roland Hartwig von der AfD ging in seiner Rede kaum auf den Einsatz von Staatstrojanern und konzentrierte sich stattdessen auf den Verfassungsschutz insgesamt. Was mit der Frage nach politischer Unabhängigkeit begann – weil der Verfassungsschutz dem Innenministerium untersteht – endete mit Vorwürfen, die Bundesregierung würde sich durch den Verfassungsschutz vor Kritik schützen wollen und jede politische Bewegung, die nicht dem “politischen Mainstream” folge, gerate ins “Fadenkreuz”. Offensichtlich hatte die AfD eine Sonderstellung in der Debatte, da etwa ihre Landesverbände in Thüringen oder Sachsen-Anhalt unter Beobachtung durch den jeweiligen Landesverfassungsschutz stehen und als rechtsextrem eingestuft werden.
Konstantin von Notz sowie André Hahn (Die Linke) gingen im Gegensatz zu Hartwig auf die Gefahr durch den Rechtsterrorismus ein, welche von der Großen Koalition als zentrales Argument für den Gesetzentwurf angeführt wird. Von Notz war der Meinung, Staatstrojaner hätten nicht einen Anschlag in Deutschland verhindert und wies weiterhin auf den Rat des Großteils der Sachverständigen im Innenausschuss hin, die das Verfassungsschutzrecht grundlegend reformieren wollen. Es sei bezeichnend, dass die Bundesregierung die Kritik ignoriere, die vom Chaos-Computer-Club bis zu großen Tech-Unternehmen wie Facebook oder Google geäußert wird. Hahn merkte an, dass mangelnde Befugnisse zur Überwachung zuvor bei den NSU-Morden nicht das Problem gewesen wären. Das katastrophale Versagen des Verfassungsschutzes in dieser Sache nimmt er vielmehr als Anlass, seine Ersetzung durch eine Beobachtungsstelle ohne nachrichtendienstliche Befugnisse zu fordern. Er hält außerdem den vom Sozialdemokraten Grötsch erwähnten regelmäßigen Bericht hinsichtlich parlamentarischer Kontrolle nicht für ausreichend. Dieser sah es in seiner Rede als einen Teil des “positiven Staatsverständnisses der Sozialdemokratie” und als “mutig” an, für die Reform zu stimmen.
In einer namentlichen Abstimmung wurde das Gesetz schließlich vom Bundestag verabschiedet, die Union stimmte geschlossen dafür sowie die Mehrheit der SPD, von der allerdings fünf Abgeordnete mit Nein stimmten. Es ist relativ wahrscheinlich, dass auch gegen dieses Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt wird, etwa von Reporter ohne Grenzen oder der Gesellschaft für Freiheitsrechte.