Das Bundesverfassungsgericht stempelte Ende April die Bemühungen der deutschen Politik für eine Eindämmung der Klimakrise dieses Jahres als unzureichend ab. Diese Nachricht schlug ein wie ein Blitz – und bewirkte ein sofortiges Umdenken nahezu in der gesamten Parteienlandschaft. Besonders ein Aspekt sticht auch einige Wochen später immer noch hervor und könnte weitere Handlungen der Regierungsfraktionen langfristig verändern: Der Begriff der Generationengerechtigkeit wurde wieder einmal herausgestellt, indem das Bundesverfassungsgericht in seiner Stellungnahme formulierte, es dürfe „nicht einer Generation zugestanden werden, unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO₂-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde“. Diese Feststellung rechtfertigt so beispielsweise die Ansicht, dass das formulierte 1,5-Grad-Ziel mit Maßnahmen des bis dahin geltenden Klimaschutzgesetzes nur dann erreicht werden könne, wenn jüngere und nachfolgende Generationen dafür in der Zukunft aufkämen. Dies sei aus Sicht der Verfassungsrichterinnen und Richtern nicht mit einer gerechten Belastung der verschiedenen Generationen vereinbar.
Generell scheint die Frage nach der Generationengerechtigkeit in der heutigen Zeit und besonders in den vergangenen zwei Jahren eine große Rolle im politischen Diskurs einzunehmen. In verschiedenen Themenbereichen und in Bezug auf verschiedene Diskussionen wird immer wieder die Generationengerechtigkeit als ein Argument für die eine oder gegen die andere Entscheidung verwendet. Im Hinblick auf einen Schuldenstopp mit der sogenannten “Schwarzen Null” titelt beispielsweise die CDU in Schleswig-Holstein: “Schwarze Null ist gelebte Generationengerechtigkeit”, auch Finanzminister Olaf Scholz warb lange mit ähnlichen Argumenten für eine Schuldenbremse, die nach dem Abklingen der Pandemie zurückkehren soll. Dem gegenüber moniert die 25-jährige Anna Peters von der Grünen Jugend in der Debatte um Strategien während der Corona-Pandemie: “Es ist ein Unding, wie die Politik mit unserer Generation umgeht.”
Es ist also auffällig, dass der Begriff der Generationengerechtigkeit ein gern genutzter ist. Immer ist er darauf ausgelegt, dass bestimmte Entscheidungen vorrangig aus dem Grund getroffen werden, dass sie positive Auswirkungen für junge Generationen haben sollen. Auffällig ist aber auch, dass sich alle Seiten dem Terminus bedienen, um verschiedene Maßnahmen zu rechtfertigen. Es scheint dabei, als würde die Generationengerechtigkeit als Argument zumindest teilweise inflationär verwendet. Das macht es oft nicht einfach, den Überblick darüber zu behalten, was jungen Menschen in der Zukunft wirklich am meisten nützt und was ihnen eher schadet. Das ursprüngliche Klimagesetz, das von der Bundesregierung im Dezember 2019 verabschiedet wurde, lässt sich laut Bundesverfassungsgericht eher in die zweite Kategorie einordnen. Das wirft die Frage auf, ob jüngere Generationen generell benachteiligt oder nicht genug wahrgenommen werden, so wie es das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich des Klimaschutzes festgestellt hat. Ich versuche mich im Folgenden an einer Einordnung anhand der Corona-Pandemie, der Schuldenbremse und der Rente.
Beginnen wir also mit der Pandemie, die sich zurzeit am Ende der dritten Welle befindet. Alle folgenden Argumente sehen aktuell erst einmal aus wie Schnee von gestern, dürfen doch die Schülerinnen und Schüler wieder langsam in gewohnter Klassenstärke in die Schulen zurückkehren und können doch schon bald Jugendliche mit ersten Impferfolgen rechnen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn kündigte sogar kürzlich an, eine gewisse Anzahl von Dosen für Kinder und Jugendliche zurückzuhalten, um einen schnellen Schutz vor dem Virus auch in diesen Generationen gewährleisten zu können. Dennoch ist bereits jetzt die Tendenz zu erkennen, dass die mehrmonatige Einschränkung des Schulbetriebs viele negative Auswirkungen auf die Kinder zu Folge haben wird. Es sei infolgedessen beispielsweise mit einem höheren Anteil von Schülerinnen und Schülern zu rechnen, der die jeweilige Klassenstufe wiederholen müsste. Hätte man dieses bevorstehende Fiasko verhindern können?
Erst einmal ist völlig klar, dass die unsichere Faktenlage, die mit der Corona-Pandemie einherging, in allen gesellschaftlichen Bereichen zu Einschnitten geführt hat. Und doch bleibt bei genauerem Hinsehen ein fader Beigeschmack, wenn es um die Bemühungen der Politik geht, Schulen bestmöglich auf eine Wiederaufnahme des Unterrichts vorzubereiten. Im Herbst 2020 zum Beispiel wurde von verschiedenen Seiten wie dem Deutschen Lehrerverband gefordert, Luftfilter in Klassenräumen zu installieren, um der Ausbreitung von Aerosolen vorzubeugen. Die Wirksamkeit einer solchen Maßnahme wurde von höchster Stelle – unter anderem vom Umweltbundesamt – bescheinigt, passiert ist auch mehr als ein halbes Jahr später wenig. Anstatt also im übertragenen Sinne in die Zukunft der deutschen Kinder und Jugendlichen zu investieren, wurde regelmäßig Geld in die Wirtschaft gepumpt, zum Beispiel in die Automobilindustrie oder in die Rettung von Fluglinien wie Lufthansa. Wirklich erschreckend wird es allerdings erst dann, wenn man einen Blick auf die Verhältnisse dieser Investitionen wirft. So hätte es lediglich ein Sechstel der Summe aus dem Hilfspaket für die Lufthansa benötigt, um alle Schulen in Deutschland mit den oben genannten Luftfiltern auszustatten. Auch wenn das zugegebenermaßen ein wenig spekulativ daherkommt: Der deutschen Politik war also anscheinend die Zukunft der Kinder und Jugendlichen diese Summe nicht wert. Stattdessen sitzen viele Schülerinnen und Schüler nun bereits seit einem halben Jahr im Homeschooling fest, die Lernenden, die in den Schulen sein dürfen, sind einer ständigen Angst um eine Ansteckung ausgesetzt und haben den teils stupiden Regelungen wie dem Stoßlüften nichts entgegenzusetzen.
Auch wenn der eingeschränkte Schulbetrieb das prominenteste Bildungsthema während der Pandemie darstellt, auch Kindertagesstätten oder Universitäten gehören zu den Einrichtungen, die von der Politik massiv missachtet worden sind. Im Vergleich zu Schülerinnen und Schülern benötigen Kleinkinder meist noch mehr körperliche Zuneigung und Unterstützung – Handlungen, die aufgrund von Abstands- und Maskenregeln häufig nicht geleistet werden können. Es scheint also so, als müsse entschieden werden, zwischen einer Benachteiligung der Kinder auf der einen Seite und einem hohem Infektionsrisiko, sowohl für Erziehende als auch für die Kinder, auf der anderen. Ähnlich schlecht trifft es seit fast eineinhalb Jahren die Studierenden im ganzen Land, die nicht einmal vor dieser Wahl stehen, sondern zum zu Hause bleiben gezwungen werden. Die Gebäude sind geschlossen, Mensaessen und Treffen mit Kommilitoninnen und Kommilitonen zwischen den Kursen sind schon lange nicht mehr Teil des alltäglichen Lebens – ein massiver Einschnitt, der aber wenig thematisiert wird. Öffnungskonzepte fehlten lange komplett, ebenso wie sinnvolle und günstige Möglichkeiten zur finanziellen Unterstützung in der Krise. Überbrückungshilfen beispielsweise werden Studierenden nur dann gezahlt, wenn sie nachweisen können, dass sie weniger als 500 Euro auf dem eigenen Konto haben.
Insgesamt ist das an der jungen Generation nicht spurlos vorübergegangen. Auf der einen Seite ist momentan in keiner Generation die Rate an psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen so hoch wie bei Kindern und Jugendlichen, diese sind bis zu 80 Prozent häufiger betroffen als der Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Das hat zur Folge, dass immer mehr junge Menschen während der Corona-Pandemie unzufrieden mit der politischen Arbeit in Deutschland sind. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt das eindrucksvoll: 65 Prozent der befragten Jugendlichen fühlten sich in der zweiten Welle der Pandemie von der Politik nicht ausreichend wertgeschätzt, ein fast genauso hoher Teil war sogar davon überzeugt, dass den Verantwortlichen die Situation der jungen Generation egal sei.
Die Corona-Pandemie zeigt also schon eindrücklich, inwieweit junge Generationen bei verschiedenen Maßnahmen auf der Strecke bleiben oder schlicht nicht beachtet werden. Noch spannender ist allerdings ein Blick auf die politischen Themenbereiche, bei denen aktiv mit einer Regelung im Sinne der Generationengerechtigkeit geworben wird: Ein Beispiel dafür ist die Schuldenbremse mit der sogenannten “Schwarzen Null”. Wie bereits zu Beginn des Textes gezeigt, preisen sich verschiedene Politikerinnen und Politiker damit, dass die Verhinderung einer weiteren Schuldenaufnahme besonders jungen Generationen zugute komme. Doch diese Aussage lässt sich spätestens seit der Corona-Pandemie wenigstens anzweifeln. Diese hat nämlich Verschiedenes gezeigt: Zum Ersten hat sie entblößt, dass die Bildungslandschaft brach liegt – und das aus gutem Grund. Gerade einmal 4,2 Prozent des Bruttoinlandprodukts investiert Deutschland aktuell in den Bildungssektor, in Norwegen sind es 6,6 Prozent. Zum Zweiten kommt erschwerend hinzu, dass wir auch im Bereich der Digitalisierung der weltweiten Elite hinterherlaufen. Kein Wunder also, dass Homeschooling-Angebote und andere digitale Konzepte sehr stockend angelaufen sind oder immer noch anlaufen.
Beides sind Bereiche, die in großem Maße junge Generationen betreffen, weil sie über ihre Zukunft maßgeblich entscheiden. Mit einer hochwertigen – auch digitalen – Bildung ergeben sich bessere Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt, dazu braucht es allerdings die entsprechenden Ausstattungen. Schon seit Jahren ist allerdings bekannt, dass die Schulgebäude immer weiter verfallen und häufig noch auf dem Niveau der 1970er Jahre feststecken, nicht nur, jedoch auch wegen ausbleibender Investitionen in Zusammenhang mit der Schuldenbremse. Aufgrund dessen kann argumentiert werden, dass es für die jungen Generationen möglicherweise hilfreicher wäre, die „Schwarze Null“ auf der Strecke zu lassen und Investitionen für die Bildung, die Digitalisierung und andere zukunftsweisende Themenbereiche zur Verfügung zu stellen. In diesem Fall müssten die Nachfolgegenerationen natürlich die Staatsschulden zu einem großen Teil mittragen, profitierten aber langfristig von einer möglichen Vorreiterrolle von Deutschland in den Bereichen Bildung und Digitalisierung.
Als letzten Aspekt dieser Analyse gerät die Rente in den Fokus. Noch extremer als bei den vorherigen Beispielen entspinnt sich schon seit langer Zeit eine Diskussion darüber, wie die Renten einer immer älter werdenden Gesellschaft finanziert werden soll. Momentane Antwort darauf: Das Rentenniveau für heutige und angehende Rentnerinnen und Rentner wird stabil gehalten, dafür sollen die nachfolgenden Generationen entweder höhere Beiträge zahlen oder schlicht länger arbeiten. Laut Expertinnen und Experten sei damit zu rechnen, dass die Beiträge in die Rentenkassen ab 2025 „in atemberaubende Höhen” steigen. Verstärkt werde diese Entwicklung nun vermutlich zusätzlich durch Lohnrückgänge und steigende Kosten, die die Folgen der Corona-Pandemie verursachen. Daraus ergibt sich eine Situation für junge Menschen, die sich mit den ungerechten Anforderungen zur Bewältigung des Klimaschutzes vergleichen lässt, auf die das Verfassungsgericht kürzlich hingewiesen hat. Das Klimaschutzgesetz wurde vom Bundesverfassungsgericht Ende April unter anderem aus den Gründen gekippt, dass es nur konkrete Zahlen bis zum Jahre 2030 vorgelegt und kaum Spielraum für Zeit danach erlaubt hatte. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auch im Bereich der Rente vermuten. So rechnet beispielsweise FDP-Politiker Vogel mit einer Verschiebung der Rentenlast auf die Jahre nach 2030.
Der Kolumnist Sascha Lobo nennt die momentane politische Linie in Deutschland eine ‘‘Rentokratie’’ – also eine Politik zugunsten der älteren Generationen und zum Nachteil junger Menschen. Dieser Begriff wirft die Frage auf, was sich die politisch Verantwortlichen von einer solchen Politik versprechen. Meiner Ansicht nach gibt es darauf zwei Antworten: Erstens zeigt eine solche Politik jene Kurzsichtigkeit, die im vorherigen Beispiel der Rente, aber auch in der Corona-Krise immer wieder zutage getreten ist, frei nach dem Motto: In der langfristigen Zukunft können sich Andere um die entstandenen Probleme kümmern. Diese Herangehensweise geht unweigerlich mit der zweiten Antwort einher: Wahlen lassen sich eher kurzfristig gewinnen, schon alleine, weil sie alle vier Jahre stattfinden. Potenzielle Wählerinnen und Wähler springen eher auf Lösungen an, deren Nutzen sie sofort wahrnehmen und nicht erst zehn Jahre in der Zukunft. Gerade jetzt, wenige Monate vor der Bundestagswahl, werden daher primär Beschlüsse gefasst, die Stimmen der Wählerinnen und Wähler in der Gegenwart mobilisieren.
Und Fakt ist, wenn es um Mobilisierung von Wählerinnen und Wählern geht: Mehr wahlberechtigte Menschen sind in den älteren Generationen aufzutreiben – schon allein wegen des Wahlalters von 18 Jahren, aber auch wegen einer generellen Überalterung der deutschen Gesellschaft. Allein die Hälfte der Wählenden wird zum Zeitpunkt der Bundestagswahl 54 Jahre oder älter sein. Da ist die Hauptzielgruppe schnell ausgemacht. Auswirkungen hat dies schon länger auf die Anzahl der Wählerinnen und Wählern der einzelnen Parteien im Altersvergleich. Bei der Europawahl 2019 erhielten die SPD und Union als die beiden Regierungsparteien in Deutschland 61 Prozent der Wählerstimmen von der Generation über 60, Tendenz aufgrund der demografischen Entwicklung eher steigend. Im Vergleich dazu: Bei den 18- bis 29-Jährigen setzten gerade einmal gut 20 Prozent ihr Kreuz bei einer der beiden Parteien.
Eine altersfreundliche Politik erscheint also aus Sicht von SPD und Union vollkommen nachvollziehbar, wenn nicht gar als die einzige Möglichkeit auf einen Wahlsieg. Leider bleiben dabei dann häufig jüngere Generationen auf der Strecke. Wenn man allein den Statistiken zur Entwicklung der Gesellschaft glaubt, müsste sich diese Tendenz in den kommenden Jahren und Jahrzehnten sogar noch verstärken. Es bleibt abzuwarten, wie die jüngeren Menschen unseres Landes darauf reagieren. Ihr Problem: Sie besitzen keine Lobby, haben kaum Einfluss auf die alltägliche Politik. Der wichtigste Einflussfaktor könnte daher auch in Zukunft das Bundesverfassungsgericht sein, das auch in Fragen abseits des Klimas tätig werden könnte. So könnte auch zukünftig von dieser Seite basierend auf Klagen junger Menschen eingegriffen werden, sie also auch in den politischen Diskurs einbinden. Ob die Verantwortlichen in der Politik dann ebenfalls bereit sind, ihre Maßnahmen zu verändern, bleibt mit Spannung abzuwarten.