Anmerkung: In diesem Text geht es, wenn auch ohne graphische Details, um Gewalt gegen Frauen. Solltet Ihr Erfahrungen hiermit gemacht haben, könnt Ihr beim Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe eine Hilfsorganisation in eurer Nähe suchen. Das Hilfetelefon “Gewalt gegen Frauen” bietet außerdem rund um die Uhr kostenlose, anonyme und mehrsprache Beratung, auch per Chat. Hier können sich auch besorgte Angehörige melden.
Es ist selbstverständlich, dass eine Pandemie den politischen Diskurs prägt. Welche Virologin hätte sich noch vor 2 Jahren erträumen lassen, dass mal ein Großteil der deutschen Bevölkerung weiß, was der R-Wert ist. Welcher Politiker hätte damit gerechnet, dass Bürger:innen sich um eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes scheren würden? Inzwischen ist aber auch genug Zeit vergangen, um Entwicklungen in diesem Zustand beobachten zu können. So sind Diskussionen über Corona-Maßnahmen heute beispielsweise viel spezifischer. Grundkenntnisse sind in der Bevölkerung angekommen, die anfängliche Überforderung schon lange überwunden.
Doch bei all den Debatten über Beherbergungsverbote und Superspreader-Events dürfen nicht die Probleme vergessen werden, die es schon vorher gab und die durch Corona schlimmer werden. In diese Kategorie fällt auch häusliche Gewalt. Sorgen um negative Auswirkungen von Corona-Maßnahmen kamen schon im April auf, inzwischen sind sie zumindest teilweise bestätigt. Laut dem Bundeskriminalamt waren 2019 über 140.000 Menschen in Deutschland von Partnerschaftsgewalt betroffen, 81 Prozent davon Frauen. Das macht mindestens 6 weibliche Betroffene alleine während der 30-minütigen Bundestagsdebatte zum Thema Gewalt gegen Frauen am Donnerstag. Anträge von jeder Oppositionsfraktion wurden erstmals beraten.
Die Linke konzentrierte sich in ihrem Antrag auf Femizide – im Wesentlichen die Tötung einer Frau, weil sie eine Frau ist. Ihre Rednerin Cornelia Möhring beschwerte sich über die Berichterstattung, welche immer noch irreführende und verharmlosende Begriffe wie “Beziehungsdrama” oder “Familientragödie” verwende. Das wurde im Verlauf der Debatte auch von anderen Rednerinnen kritisiert. Femizide sind laut Möhring Ausdruck patriarchaler Strukturen und traditioneller Rollenbilder, die als verletzt angesehen werden, worauf mit Gewalt reagiert wird. Liebe oder Eifersucht seien vorgezogene Gründe: „Es geht um Macht […] Es geht um Unterordnung. Es geht um Kontrolle im Geschlechterverhältnis.” Für Möhring fängt das Problem schon damit an, dass die Bundesregierung den Begriff ”Femizid” überhaupt nicht benutzt, im Gegensatz zur WHO oder der UN. Das mache es umso schwerer, Morde überhaupt als Femizid wahrzunehmen und als Straftat zu verfolgen.
Die Rednerinnen der Regierungsparteien stellten heraus, welche Maßnahmen bereits getroffen wurden. Die Abgeordnete Sylvia Pantel (CDU/CSU) entgegnete der AfD-Forderung nach einem Ende von Zwangsehen, dass diese seit 2011 unter Strafe stünden und es Zufluchts- sowie Beratungsstellen gebe. An einer besseren Infrastruktur für diese arbeite man ebenfalls schon, wie sie der Antrag der FDP verlangt. Der Linkspartei warf sie vor, die männlichen Opfer häuslicher Gewalt sowie die auf häusliche Gewalt angepasste Ausbildung bei der Polizei zu ignorieren. Ihre Fraktionskollegin Nina Warken entkräftete den Vorwurf der Abgeordneten Ulla Schauws (Bündnis 90/Die Grünen), die polizeiliche Kriminalstatistik solle Partnerschaftsgewalt genauer erfassen, denn das tue sie bereits. Details wie Tatwaffen zu erfassen, hält sie hingegen für überflüssig. Warken erwähnte Fortschritte in der Präventionsarbeit und merkte an, dass die diskutierte Problematik an vielen Stellen in die Zuständigkeit der Länder fällt. Außerdem wurde aus ihrer Sicht durch die Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet Frauenfeindlichkeit ebenfalls angegangen.
Für die SPD erwähnte Gülistan Yüksel den “Runden Tisch gegen Gewalt”, an dem sich die Bundesländer beteiligen und durch den sie vom Bund finanzielle Unterstützung erhalten. Durch die Initiative “Stärker als Gewalt” sei Früherkennung und die Formulierung von Handlungsempfehlungen besser möglich. Auch Leni Breymaier sprach für die Sozialdemokraten und brachte mit der Ermordung von Sexarbeiterinnen durch Freier oder Zuhälter einen bisher unerwähnten Aspekt ein.
Mariana Harder-Kühnel (AfD) stellte die These auf, in Deutschland seien Frauen mal geschätzt worden und durch Einwanderung importiere man sich frauenfeindliche Gesellschaftsbilder aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie Nordafrika. Als Beleg führt sie an, 33% der Täter:innen hätten Migrationshintergrund, während nur 12% der deutschen Bevölkerung Ausländer:innen seien. Beides statistisch korrekt, allerdings werden hier die Begriffe zwei verschiedene Begriffe durcheinander geworfen. Knapp die Hälfte der Migrant:innen in Deutschland sind Deutsche, was für Ausländer:innen per Definition unmöglich ist. Der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund in der deutschen Bevölkerung lag 2019 bei 26%.
Harder-Kühnel stimmte der Linkspartei zwar bezüglich patriarchaler Dominanz als Grund für Gewalt gegen Frauen zu, warf ihr aber gleichzeitig vor, ganze Tätergruppen durch „politische Korrektheit” oder „ideologische Feigheit” zu ignorieren. Weiterhin behauptete sie, die Zahl der durch Partnerschaftsgewalt betroffenen Personen würde seit 2015 stetig steigen. Dabei verschwieg sie jedoch, dass dieser Trend schon spätestens seit 2012 besteht. Darüber hinaus sind Vergleiche zu den Vorjahren seit 2016 problematisch, weil in dem Jahr das Sexualstrafrecht reformiert wurde. Anke Domschelt-Berg (Die Linke) versuchte sich in einer Kurzintervention an der Entkräftung der Aussage der AfD-Abgeordneten durch Schätzungen über zurückgehende Femizide. Auch das ist allerdings problematisch, denn erstens sind nicht alle Fälle von Partnerschaftsgewalt gleichzeitig Femizide und zweitens, wie ihre Parteikollegin Möhring eingangs bereits erwähnte, werden Femizide in Deutschland statistisch nicht gesondert erhoben.
Nicole Bauer schlug stellvertretend für die FDP frauenärztliche Routinebefragungen zu häuslicher Gewalt vor. Sie und ihre grüne Kollegin Schauws bezogen sich außerdem auf die Istanbul Konvention, die schneller umgesetzt werden müssten. Das völkerrechtliche Übereinkommen von 2011 gibt Frauen einen Rechtsanspruch auf Hilfe bei und Schutz vor Gewalt. Deutschland ratifizierte es erst 2017 und hat, das zeigte die Debatte, bei der Umsetzung noch Luft nach oben.